Der Bewerber

Ich hatte die Stelle eines Entwicklungsingenieurs zu besetzen.

Der Bewerber dises Tages war einer der unangenehmsten Burschen, die ich je gesehen habe. Klein und schmächtig, gab er mir doch einen übertrieben kräftigen Händedruck, der sich feucht und klebrig anfühlte. Seine braunen Haare waren strähnig und ohne Scheitel zur Seite gekämmt. Die niedrige Stirn wies über den Augen Knochenwülste auf, die ihm einen sturen Ausdruck verliehen. Seine Nasenflügel waren stark zurückgesetzt, so daß es im Profil viel von einer gelblichen, mit kleinen Äderchen und spärlichen Haaren bedeckten Nasenscheidewand zu sehen war. Seine Lippen ließen einen irgendwie glauben, daß er mit viel Spucke redet, was allerdings nicht stimmte. Er hatte ein fliehendes Kinn und ein schwarzes Muttermal von der Größe einer Kaffeebohne am Hals.

"Nehmen Sie Platz" sagte ich zu ihm. "Erzählen Sie mir etwas über sich und Ihren Werdegang."

Ich hörte ihm zu und blätterte erneut in seinen Bewerbungsunterlagen. Eher unter dem Durchschnitt, bis auf die offensichtliche Strebsamkeit.

Er begann mit der Ausbildung. Seine klare Tenorstimme war das bisher Angenehmste an ihm. Er erzählte mir dann über seine heutige Tätigkeit und sagte zum Schluß ernsthaft: "Ich habe mich heute krank gemeldet, denn wenn ich mir einen Tag frei nehme, fällt es vielleicht auf."

Ich war mir nicht ganz darüber im klaren, warum er das überhaupt erzählte. Erwartete er etwa, daß ich seine Schlitzohrigkeit bewundere?

Nach alledem war er bei mir durchgefallen. Ich machte mir jedoch die Mühe, ihm die Anforderungen der offenen Stelle in groben Zügen zu erläutern. Dann fragte ich ihn: "Wie würden Sie sich eine Karriere bei uns vorstellen?" Das war eine meiner Standardfragen. Interessanterweise hatten die meisten Bewerber Schwierigkeiten mit der Antwort und das gab mir die Gelegenheit, einiges über deren Persönlichkeit zu erfahren. Die Antwort interessierte mich diesmal aber nicht die Bohne.

Er antwortete ohne zu zögern. "Wenn Sie mich so direkt fragen, antworte ich genauso. Natürlich strebe ich die Geschäftsführung an."

Jetzt interessierte mich die Antwort auf einmal doch.

Seine braunen Knopfaugen waren undurchdringlich. Ich konnte in ihnen lediglich die Humorlosigkeit des Fanatikers erkennen.

Ich entließ ihn mit dem Versprechen, daß sich unsere Personalabteilung bald bei ihm melden würde.

"Vielleicht wirst Du Geschäftsführer, mein Junge, aber ohne meine Beteiligung" sagte ich zu mir selbst, während ich zum Büro meines Chefs Haim lief. Ich klopfte an.

"Jaaaa?" Bei ihm war jede Aussage mit einem Fragezeichen versehen.

Ich machte auf und blieb in der Tür stehen.

"Nur über meine Leiche. Er erfüllt keine der Voraussetzungen voll. Und außerdem hat er einen Sprung in der Schüssel" sagte ich genüßlich und erzählte ihm die Geschichte mit der Geschäftsführung. Bei meiner Schilderung ging ich bewußt ins Persönliche, weil ich wußte, wie sehr ihm das zuwider war. Das war nämlich nicht „managerlike”.

"Jaaaa? Ich weiß nicht..." Er war jetzt aus mehreren Gründen in der Zwickmühle. Er mochte grundsätzlich keine Festlegung jedoch auch keinen Streit. Am wenigsten mochte er meine blumige Sprache, brachte es aber nicht über sich, mir das zu sagen. Er war einer der farblosesten Menschen, die ich je getroffen habe. Die einzige Eigenschaft, die ich bei ihm schätzte, war seine Beharrlichkeit.

Nach einigem Schweigen hatte er offensichtlich doch einen Entschluß gefaßt, denn er wurde noch verlegener. Bevor er sprach, räusperte er sich mehrmals. Er neigte den Kopf zur linken Schulter, hob sie gleichzeitig etwas an, lächelte scheu und blickte mir entschuldigend in die Augen.

"Wenn Sie meinen... ich überlasse es voll Ihnen... ist ja auch Ihre Stelle... Sie kennen doch meinen Standpunkt: Wir wollen nur die Besten!"

Das kleine Ekel habe ich nie wieder gesehen.

Ich denke, es ist gut möglich, dass er mittlerweile tatsächlich Geschäftsführer geworden ist.Es ist sogar nicht auszuschließen, daß er mittlerweile ganz oben auf der Liste von irgendwelchen Kopfjägern steht und gerade dabei ist, seinen heutigen Arbeitgeber nach Strich und Faden zu betrügen, indem er mit einem Koffer voller Akten zur Konkurrenz überläuft.

 

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