|
Management
By Chaos Bei der ersten Massenschulung nach
Implementierung des neuen Qualitätslenkungssystems wurden im Filmsaal
etwa 150 Führungskräfte aus der ganzen Firma zusammengetrommelt. Die drei Veranstalter, sprich
Qualitätsmanager, Produktionsleiter und Entwicklungsleiter, unterhielten sich
aufgeregt auf dem Podium. Die Agenda war offensichtlich nicht vernünftig
abgesprochen worden. Wir waren schon eine gute Viertelstunde hinter der Zeit.
Mindestens fünf Anwesenheitslisten für die verschiedenen Schulungsblöcke
waren kreuz und quer durch den Saal im Umlauf, jeder unterschrieb was das
Zeug hielt, ohne zu lesen. Langsam wurde der Grund für das Chaos klar. Manche
der teilnehmenden Personen waren schon in der Woche davor bei einigen Themen
geschult worden. Außerdem waren einige der für heute vorgesehenen Themen
nicht für alle relevant. Man versuchte daraufhin, die Agenda entsprechend zu
ändern, was aber nicht vollständig glückte. Schließlich wurden wir
aufgefordert, sitzenzubleiben, zuzuhören und uns nur in die
Anwesenheitslisten einzutragen, die jeweils relevant waren. Ansonsten wäre
man automatisch bei den nächsten Schulungen auch dabei, auch wenn man das
nicht wollte. "Und außerdem mit weiteren unabsehbaren Folgen
konfrontiert" dachte ich mir vergnügt. Ich wußte natürlich nicht mehr,
was ich alles schon unterschrieben hatte. Ich verbrachte die meiste Zeit mit Dösen.
Dann wurde ich auf einmal doch wach. Der Qualitätsmanager stellte die
Arbeitsanweisung AA001 vor, die sich (Sie haben's erraten!) mit der
Erstellung und Dokumentation von Arbeitsanweisungen befaßt. Das Werk, das ich
von der Vorbereitung her nur zu gut kannte, bestand aus einer Seite
Inhaltsverzeichnis, 7 Seiten Text, und zwei Anlagen: Workflow und Templates.
Die einzig gültige Version eines Dokumenten im allgemeinen und einer AA im
speziellen sei, so wurde verkündet, das auf einem besonderen Server abgelegte
File, das von jedem Bearbeiter eingesehen und ausgedruckt werden konnte. Auf
dem Ausdruck wurden automatisch das Datum und der Vermerk "Gültig nur
zum Zeitpunkt des Ausdrucks" gedruckt. Aus rein formalen Gründen, fügte
man an, denn so schnell werden AAs doch nicht geändert. Huch? Das hatte ich aber anders in
Erinnerung. "Wie stellt Ihr Schlauberger Euch das
vor?" fragte ich unter Einsatz der gesamten Diplomatie, die mir nach
einer dreißigjährigen Arbeit in verschiedenen deutschen Industrieunternehmen
noch übriggeblieben war. "Ich werde den Teufel tun, meine Leute nach
ungültigen Papieren arbeiten zu lassen. Das mit der Gültigkeit muß
zurückgeändert werden, ursprünglich haben wir doch geschrieben 'am Tage' und
nicht 'zum Zeitpunkt' des Ausdrucks. Was soll der Quatsch?" Mein Chef holte tief Luft und wollte was
sagen, wurde aber vom Qualitätsmanager daran gehindert. "Das ist doch eine reine Formsache,
wir haben uns entschlossen, das mit der Gültigkeit ganz konsequent zu
formulieren und auch umzusetzen, insbesondere im Hinblick auf eine mögliche
Inspektion durch FDA Auditoren. Wo siehst Du das Problem, lieber Paul?" "Insbesondere im Hinblick auf eine
Inspektion muß das geändert werden. Wir liefern damit doch den Beweis unserer
eigenen Unfähigkeit. Das gedruckte Papier wird bereits in dem Moment
ungültig, wenn es den Drucker verlassen hat. Unsere Mitarbeiter werden
absolut ohne Grund in die Illegalität gezwungen. Was soll der Mann im Labor
machen? Arbeiten nach dem Papier darf er ja laut unserer eigenen
Qualitätsstrategie nicht, wenn er nicht sicherstellen kann, daß es gültig
ist." "Das sind jetzt
Spitzfindigkeiten!" Mein Chef war endlich auch zu Wort gekommen. "Vielleicht nach der Arbeit noch mal
ausdrucken und nachschauen?" schlug ein Kollege aus der hinteren Reihe
scherzhaft vor. "Das reicht nicht einmal. Das ist wie
mit dem Licht im Kühlschrank. Du kannst gar nicht sicher sein, was
zwischendurch passiert. Ich werde für jede Arbeit zwei Leute abstellen, die in telefonischem
Kontakt bleiben müssen, der eine arbeitet, und der andere bewacht die
elektronische Arbeitsanweisung, damit sie nicht aus Versehen doch geändert
wird." Es folgte allgemeines Gekicher. Der Produktionsleiter, der Dank seines
hypertrophen Opportunismus die Sachlage sofort erfaßte, tuschelte jetzt mit
meinem Chef. Der Qualitätsmanager gesellte sich dazu. Nach einigen Minuten
schienen sie sich geeinigt zu haben. "Das können wir gerne ändern, wenn's
Euch so lieber ist. Ich meine nach wie vor, daß es nichts ausmacht, aber,
bitte!" Der Qualitätsmanager war sichtlich sauer, mein Chef
offensichtlich auch. Ich war mir ziemlich sicher, daß er noch nicht wirklich
verstand, worum es ging. "Jawohl. 'Gültig am Tag des
Ausdrucks.' Ich fühle mich dabei auch besser" gestand der
Produktionsleiter. "Wir sollen kein Risiko eingehen, wenn's um
Regularien geht." Das war sein Standardspruch. Mein Chef sagte gar nichts. Die Tatsache, daß ich dabei keine neuen
Freunde gewinnen konnte, lag sicherlich nur daran, daß sie mich alle schon
lange kannten. |
|
|