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Der
Murano Aschenbecher Ich
wollte in meinem Büro einen Wandkalender anbringen. In der obersten Schublade
meines Schreibtisches hatte ich ein Paar Stahlnägel erblickt, die mir wohl mein
Vorgänger hinterlassen hatte. Weil ich zu faul war, aus der Werkstatt einen
Hammer zu holen, schaute ich mich nach einer Alternative um. Der grüne, runde
Aschenbecher vom Besprechungstisch, der aus dickem Kristallglas bestand,
schien mir geeignet zu sein. Ich fing also an zu hämmern. Es ging ja sogar
besser als erwartet, da die Wand offenbar aus Gasbeton gebaut war. Mein Chef Tutsch wählte ausgerechnet diesen
Augenblick, um hereinzukommen. "Das ist doch ein Murano Aschenbecher!
Sie machen's doch nur kaputt!" 'Doch' war sein Lieblingswort. "Keine Panik" sagte ich,
"dem passiert schon nichts. Die Wand ist weich wie Butter. Ist... war
das Ihr Aschenbecher?" Wie ich wußte, hatte er vor vier Jahren mit dem
Rauchen aufgehört. Der Kalender hing mittlerweile an seinem Platz. Ich drehte
mich um. "Doch, Andenken von einer
Italienreise. Den habe ich Ihnen zusammen mit dem Bürofeuerzeug hingestellt,
als Ihr Büro eingerichtet wurde. Ich wußte doch von Ihrer Vorstellung, daß
Sie Raucher sind." "Das habe ich nicht gewußt, ich hatte
Frau Schmied im Verdacht, vielen Dank!" sagte ich. Frau Schmied war
seine stets verschüchterte Sekretärin, ein Pfundskerl. "Ist doch klar, wir Raucher müssen
doch zusammenhalten. Wissen Sie, ich träume manchmal heute noch davon, daß
ich Zigarre rauche. Da wache ich morgens mit einem ganz schlechten Gewissen
auf." Er lächelte dabei etwas verlegen. Die Ehrlichkeit dieser Aussage und die
schöne Geste mit dem Vermächtnis schienen nicht so richtig zu ihm zu passen.
Ich hatte jedoch mittlerweile gelernt, daß er schwer auszurechnen war. Mit
seiner massigen Gestalt, seinem jovialen Auftreten, seiner konservativen
Kleidung und seiner stets tadellosen Frisur machte er einen väterlichen
Eindruck. Dieses Bild wurde jedoch durch eine waagerechte Falte an der
Nasenwurzel und durch die kleinen Schweinsaugen etwas getrübt. Und nachdem
ich genug über seinen Charakter erfahren habe, fand ich die Aussage
bestätigt, wonach die Augen nie lügen. Mit über 25 Jahren Betriebszugehörigkeit
war er eine absolute Ausnahme unter den Führungskräften bei Soledo. Dies
hatte er im wesentlichen zwei Umständen zu verdanken. Er (und mit ihm die
ganze Firma) war verstrickt in dubiosen Geschäften mit der Bundeswehr. Bis
auf die schwer zu beweisenden Schmiergelder, die Tutsch persönlich einem
hohen Beamten vom Beschaffungsamt in die Hand drückte, war natürlich alles
streng legal. Die Normen und Standards jedoch, die den Lieferungen
zugrundelagen, wurden unter Berücksichtigung firmeneigener Testdaten
haargenau auf die Soledo-Produkte zugeschnitten. Die Konkurrenz hatte
praktisch keine Chance. Der Entwicklungsleiter Tutsch wurde zum besten
Verkäufer der Firma und praktisch unkündbar. Im harten Überlebenskampf besaß Tutsch noch
eine weitere Waffe: seine ganz spezielle Form der Angst. Er fürchtete sich
aus allen möglichen Gründen vor allen möglichen Dingen, verlor aber nie den
Kopf. Die Angst versetzte ihn in eine Duckstellung. Er floh nicht, er kämpfte
nicht, er harrte aus mit einer ungeahnten Kraft. Und tat instinktiv meistens
das Richtige. Von Resignation keine Spur, er hoffte immer noch, irgendwann
Geschäftsführer zu werden. Ich wagte hierzu keine Prognose. Eins stand jedoch
in meinen Augen fest: er wird noch viele Geschäftsführer kommen und gehen
sehen. "Das war ursprünglich gar nicht sein
Aschenbecher, ist bloß Kriegsbeute" erklärte mir später der Kollege
Penske, "der gehörte dem technischen Geschäftsführer Stephan. Er wurde
im hohen Bogen rausgeschmissen, nachdem er sich mit Tutsch angelegt hat.
Tutsch inszenierte für ihn einen Vortrag vor Bundeswehrangehörigen, wo er
sich bei den anschließenden Fragen bis auf die Knochen blamiert hat: Tutschs
Freunde vom Beschaffungsamt nahmen ihn regelrecht auseinander. Stephan hat
dabei gründlich bewiesen, daß er von Technik keine Ahnung hat. Die Generäle
haben daraufhin inoffiziell, aber massiv protestiert. Offiziell wurde er
wegen Werk 3 in die Wüste geschickt." "Werk 3? Wir haben doch nur zwei
Werke!" Penske grinste schadenfroh. "Mit Werk 3 wurde das Haus von Stephan
auf dem Berg genannt. Beim Bauen hatte er alle Handwerker aus der Firma
requiriert. Während der Arbeitszeit, wohlgemerkt." Das war ja ein lustiger Verein, die Firma
Soledo, kann ich nur sagen. Drei Jahre später mußte auch ich gehen,
wennschon ich nicht direkt rausgeschmissen wurde: so weit wollte ich das gar
nicht kommen lassen. Auch ich hatte mich mit Tutsch angelegt, obwohl ich kein
Geschäftsführer war: so weit nämlich wollte er das gar nicht kommen lassen. |
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