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Der
Racheengel "Wie viele Leute haben Sie bisher
rausgeschmissen?" fragte mich der Hauptgeschäftsführer Rogalski
anläßlich meiner Vorstellung bei der Fa. Soledo. "Noch keinen? Na ja,
Sie werden dazu noch genug Gelegenheit haben, wenn Sie erst einmal hier
sind." Mit braunen, glänzenden Augen, braunen
Haaren und einer warmen Baßstimme ausgestattet, machte er irgendwie einen
kuscheligen Eindruck. Er war groß, hager und elegant. Die großen, knorrigen
und häßlichen Hände, die mich irgendwie an einen Knecht erinnerten, paßten
überhaupt nicht zu seiner übrigen Gestalt. Er war stets höflich und jovial,
aber im Grunde genommen knallhart und ein absoluter Egozentriker. Während meiner Zeit bei Soledo habe ich
zwar selbst niemanden gefeuert, ich konnte jedoch Rogalski des öfteren
bewundern, wie er das machte. War einer der leitenden Angestellten in
Ungnade gefallen (was jedes Mal ziemlich offensichtlich war), passierte eine
Weile gar nichts. Rogalski suchte in aller Ruhe nach einem Vorwand. Wie zum
Beispiel als die Sekretärin des Exportchefs Kretschmar von diesem angewiesen
wurde, die Doktorarbeit seiner Tochter zu tippen. Oder als der
Qualitätssicherungsleiter Henning angeblich unsere Filiale in Portugal
besuchte und sich da überhaupt nicht blicken ließ. Danach handelte Rogalski
allerdings sehr schnell. Er hatte dazu zwei Methoden parat. Bei mäßigen Rachegelüsten regelte er alles
allein mit dem Werkschutz. Der Schuldige kommt morgens mit dem Firmenwagen
angefahren und wird nicht wie üblich durchgewunken, sondern muß aussteigen
und den Wagenschlüssel abgeben. Es ist dem Pförtner selbst überlassen, ob er
einen Anruf des Unglücklichen nach einem Taxi von seinem Telefon aus
gestattet oder nicht. Vorgekommen ist beides. Der Schuldige kriegt außerdem
gesagt, daß er Hausverbot auf Lebenszeit hat. Er darf jedoch nach
Vereinbarung eines Termins seine persönlichen Habseligkeiten aus seinem Büro
abholen, selbstverständlich unter Aufsicht. In schweren Fällen muß die Demütigung des
Betroffenen unmittelbar vor einem größeren Publikum erfolgen. Rogalski wartet
bis zu einer regulären Sitzung des erweiterten Geschäftsführungskreises. An
die 20 leitende Angestellte sind im Konferenzsaal versammelt. Rogalski kommt
mit etwa 15-minütiger Verspätung begleitet von einem Werkschutzangehörigen
und verkündet: "Ich muß leider die heutige Besprechung absagen. Herr XY,
sie sind fristlos entlassen wegen Veruntreuung von Firmeneigentum, das
Kündigungsschreiben geht Ihnen mit der Post zu. Nehmen Sie Ihre persönlichen
Sachen gleich mit, Sie haben ab sofort lebenslanges Hausverbot." Und
dann läßt er uns alle stehen und verschwindet. Das "Lebenslange Hausverbot" war
schon sprichwörtlich. Als Rogalski selbst rausgeschmissen wurde
(nachdem er den Firmeninhabern einen Verlust von schätzungsweise 200
Millionen beschert hatte) sollte die Chose nach einem ähnlichen Szenario
laufen: Die Gesellschafter waren nämlich ziemlich aufgebracht. Fehlanzeige, er hatte sich rückversichert.
Sein Arbeitsvertrag als Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft der Fa.
Soledo war nach wie vor wegen einer 49% Fremdbeteiligung gültig. Er machte
mit seinem Dienstwagen einfach kehrt und hauste einige Monate in seinem
Zweitbüro außerhalb vom Fabrikgelände. Als Abfindung kassierte er für die erste
Geschäftsführerschaft rund eine Million. Eine weitere Million wurde ihm zwei
Jahre später gerichtlich zugesprochen. Mit dem Geld machte er sich 1991 auf in
Richtung Ost-Berlin, um auch hier für die Verbreitung moderner Managementmethoden
zu sorgen. |
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