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Zehn
Minuten "Aha. Sie sind also doch hier."
Eine volle, durchdringende, dennoch angenehme Tenorstimme. Winkel, der Produktionsleiter, stand in der
offenen Tür meines Büros und blickte mich mit seinen blaugrauen Augen kalt
an. Er war groß, hager und elegant. Nach hinten gekämmtes, welliges Haar
betonte die hohe Stirn. Die Hackennase milderte ein wenig das von den Augen
vermittelte Gefühl der Härte, die schmalen Lippen machten diesen positiven
Effekt jedoch zunichte. Sein Kinn war spitz und etwas vorstehend, es hatte
dennoch ein Grübchen. Seine gesamte Gestalt war scharf wie ein Rasiermesser,
und genauso gefährlich war er auch. Wegen seiner Fähigkeit, alles wichtige
souverän vom Tisch zu fegen, wenn es ihm nicht paßte, wurde er von einem
Managementberater "Bedeutungsplanierer" genannt. Er war Österreicher. "Deutschland hat
drei große Österreicher gehabt" soll er mal gesagt haben, "ich bin
der Dritte". Mit dem Zweiten war -so viel ich wusste- Ferdinand Porsche
gemeint. Ich stand auf, um ihm entgegenzutreten. Er kam aber selbst um meinen Schreibtisch
herum und langte zum Telefon. "Sie erlauben." Dabei wurde ich in die Ecke zwischen der
Wand und dem Fenster gedrängt. "Öttel will uns beide zu den
reklamierten Sensoren sehen. Seit Jahren sage ich, daß dieses Produkt nicht
anständig zu Ende entwickelt wurde. So was kann man gar nicht produzieren.
Jetzt haben wir‘s." Er setzte sich in meinen Bürosessel und
wählte. Während er in die Muschel sprach, fixierten mich seine Augen
unentwegt. "Hallo Frau Nagel! Hier ist Winkel Ich
habe ihn endlich aufgetrieben. Wann können wir kommen? Ja doch, halb drei ist
perfekt. Danke, bis dann." Mit einer kurzen, eleganten und sehr
effizient wirkenden Bewegung der Hand mit dem Hörer, schwang er die Telefonschnur
zurecht, während er auflegte. Dann nahm er endlich seinen Blick von mir weg,
stand einfach auf und ging. An der Tür angelangt, drehte er sich noch kurz
um, bevor er verschwand: "Sie haben gehört, halb drei. Seien Sie
pünktlich." Endlich aufgetrieben? Natürlich war ich die
ganze Zeit in meinem Büro, zwei Türen oder einen Telefonanruf von seinem Büro
entfernt. Um halb drei war ich pünktlich bei Öttel
und wurde prompt zu ihm hereingelassen. Er war Vorstandsmitglied und der am
meisten befürchtete Mann in der Firma, ein absoluter Choleriker. Es wurde ihm
nachgesagt, daß er des öfteren mitten in einer Besprechung eine Führungskraft
entlassen hatte. Einen solchen Fall hatte ich trotz kurzer
Betriebszugehörigkeit sogar selbst erlebt. Öttel war trotz allem der beste
Industriemanager, den ich kannte. Man kam an seiner urtümlichen Kraft und an
seinem scharfen Verstand ebensowenig vorbei, wie an der Chinesischen Mauer.
Mich konnte er aus irgendeinem Grund besonders gut leiden, vielleicht wegen
meiner höflichen Respektlosigkeit. "Kommen Sie rein. Setzen Sie
sich." Mit der Zigarre in der Hand deutete er auf
den Besprechungstisch, dann kam er selbst rüber. Seine massige Gestalt
strahlte Autorität aus, seine Kleidung war konservativ und wie immer von
unaufdringlicher Qualität. Er nagelte mich sofort mit seinem Blick in den
Stuhl fest. "Da sind Sie ja. Winkel kommt auch
noch. Was ist mit diesen verdammten Sensoren los?" "Eindeutig Produktionsfehler, Herr
Öttel Das Mischungsverhältnis der Vergußmasse war falsch eingestellt". "Aha. Dann ist der Schwarze Peter
ausnahmsweise da, wo er hingehört. Wer hat das untersucht?" "Zwei von meinen Leuten, Busack und
Karoß" "Ach so. Dann brauche ich wohl nicht
zu fragen, wie sicher das ist". Er grinste mich an, ich grinste zurück. "Wohl kaum. Die einzige gute Nachricht
ist, daß wir die Ware nacharbeiten können. Dies wird allerdings die
Produktion in den nächsten drei Monaten ziemlich durcheinanderbringen." "Das wird Winkel gar nicht gefallen.
Was kostet uns der Spaß? Alles in allem, grobe Schätzung, hm?" "Um die fünf Millionen. Wenn wir’s
aber anständig machen, bleibt Hewlett Packard bei der Stange. Ansonsten weiß
ich nicht. Die sind mächtig sauer." "Hm. Hm. Bleibt uns wohl nichts
anderes übrig, was? O.K., machen Sie’s so. Ziehen Sie es sofort projektmäßig
durch. Ich mache Sie dafür verantwortlich, egal wer das Projekt leitet.
Winkel wird Sie mit seinen Leuten unterstützen, dafür werde ich schon sorgen.
Spannen Sie aber auch Arbeitsvorbereitung, Qualitätssicherung und Versuchswerkstatt
mit ein, klar?" Dem war wie immer bei seinen Anweisungen
nicht mehr viel hinzuzufügen. Daraufhin kam wie auf Stichwort Winkel
herein und entschuldigte sich für die zehnminütige Verspätung, ohne jedoch
einen Grund anzugeben. Er wurde dann von Öttel in knappen Worten über die
Beschlußlage informiert. Winkel war ein wirklicher Vollprofi. Er verzog keine
Miene und pflichtete Öttel sofort bei allen angesprochenen Maßnahmen bei. So
waren wir nach etwa einer weiteren halben Stunde durch alle Details durch. Dann gingen wir zusammen, Winkel und ich,
den ganzen Weg zu unserem Gebäude zurück, etwa zehn Minuten lang. Unterwegs
haben wir freundschaftlich über dies und jenes geplaudert. Er trug mir
offenbar nichts nach, obwohl er geschlagene zehn Minuten in seinem Büro auf
mich gewartet hatte, in der Überzeugung, daß ich ihn abhole, um gemeinsam zur
Besprechung mit Öttel zu gehen. Daß er nicht nachtragend war, basierte
jedoch nicht auf seinem sportlichen Geist. Er ignorierte wie immer konsequent
alles, was ihm nicht paßte. Warum sollte er mir also etwas nachtragen?
Es hatte keinen Kampf gegeben, also konnte er keine Niederlage erleiden. Und
außerdem existierte ich als Gegner ohnehin nicht. Meine Stellung im
Unternehmen war viel zu niedrig. |
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