Ungeheuer

Ein kleines Strassencafé in Germersheim. Es ist Sonntag nachmittag. Wir schrecken auf und vergessen unsere Eisbecher, Vera und ich, als zwei etwa sechsjährige Kinder auf der anderen Strassenseite mit den Handflächen gegen das Glas einer Vitrine hämmern. Jetzt nochmal und nochmal. Das Geräusch ist bestimmt meilenweit zu hören. Die Kinder haben als einzige Bekleidung kurze Hosen an, sind braungebrannt und laufen barfuss. Als nächstes schmeissen sie mit lautem Geschepper zwei abgestellte Fahrräder um. Sie laufen langsam und bedächtig weiter und verschwinden um die nächste Ecke. Ihr Gang sieht ganz und gar nicht nach dem von sechsjährigen Kindern aus.
Die Szene verwirrt mich und wühlt mich auf. Am schlimmsten empfinde ich die offensichtliche Nichtkommunikation: diese Kinder haben nicht etwa uns, den Cafébesuchern, eine Szene gespielt, das wäre eher zu ertragen. Nein, für die existieren wir gar nicht, sie genügen sich in ihrer Dreistigkeit selbst als Publikum. Sie ziehen ihre Zerstörungsaktionen ab und ergötzen sich daran.
Monate später erlebe ich in einem kleinen Dorf, wie die Ziegenherde abends von der Weide zurückkehrt. Zwei jüngere Ziegen stürzen sich auf alles, was sie von der Strasse aus erreichen können. Sie stützen sich mit den Vorderhufen auf dem Stacheldraht oder auf den Zaunlatten und schnappen nach Obst, Fliederblätter, Blumen und Heckenbüschen. Sie blicken voll konzentriert auf ihre Beute und lassen sich vom Gebell unserer drei Hunde und von unseren Rufen überhaupt nicht beeindrucken. Sie haben den gleichen dreisten Blick wie die Kinder in Germerheim.
Sie finden diesen Vergleich ungeheuerlich? Womöglich haben Sie recht, es fällt in der Tat etwas nachteilig für die Ziegen aus. Die haben mit ihrem Spitzbart und mit ihren kleinen Hörnern wenigstens etwas lustiges an sich.
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