Paul? Ehm, ehm…Paul… hast Du Lust, mit uns Cluedo zu spielen?”
Das war Sinahs Stimme aus Svens Zimmer. Ich schaute Vera fragend an, ich hatte zu tun. “Nun geh’ schon” sagte sie. “Seit sie Dich kennen fragen sie mich immer wieder danach. Bisher habe ich Dich geschützt. Irgendwann musst Du dranglauben” Sie hatte natürlich Recht, man sollte sich nicht mit Naturgewalten anlegen. “Ich komme gleich! Muss nur meine Arbeit hier abschliessen!” rief ich hinunter.
Ich packte mein Werkzeug und die Reste der Spiegelverpackung in die Kiste und trug sie in die Werkstatt. Hier sortierte ich den Inhalt und räumte die Sachen ordentlich ein. Dabei versuchte ich, die Arbeit auch gedanklich abzuschliessen. Am Ende kam der Verpackungsmüll in den Mülleimer.
Ich wusch mir dann die Hände und ging in Svens Zimmer.
Das Spiel war ausgebreitet auf dem Teppich. Nicht, dass es in diesem Zimmer keinen Tisch gegeben hätte. Sowohl Schreibtisch als auch Computertisch waren jedoch mit Bergen von irgendwelchem Kram zugedeckt. Es waren alle möglichen Dinge zu sehen, von bunten Bleistiften über Mignonzellen bis hin zu Jeanshosen. Eine Rundfeile, die ich gestern verzweifelt gesucht hatte, ragte aus der rechten Tasche der Jeanshose ‘raus. Neben dem Etagenbett war ein Wäschekorb mit einzelnen Socken, die, wie ich wusste, seit Wochen auf die Zusammenführung mit ihrem Gegenstück warteten. Sämtliche Schranktüren waren offen, etliche Schubladen halb ‘rausgezogen.
Ich legte mich auf den Perserteppich zu den Kindern hin. “Wie geht nun das Spiel? Einer muss mir das erklären” Das taten sie beide, mehr oder weniger gleichzeitig. War irgendetwas frei nach Agatha Christie: mit Opfer, Täter, Tatort und Tatwerkzeug. Es wurde zwischendurch (glaube ich) auch gewürfelt. Bevor ich überhaupt kapiert hatte, worum es geht, verlor ich das erste Spiel. Sinah hatte gewonnen, Sven war nahe dran. Dann verlor ich das zweite Spiel auch. Diesmal war Sven der Gewinner, natürlich dicht gefolgt von Sinah. Im dritten Spiel hatte ich endlich den Dreh ‘raus, machte aber einen Denkfehler und verlor erneut. Sinah hatte wieder gewonnen.
Jetzt strahlten sie beide. Sie versuchten zwar, ihre Genugtuung zu verbergen, dadurch wurde sie noch offensichtlicher. Ich las in deren Augen aber keine Schadenfreude. Sie hatten bei mir eine Schwäche entdeckt, vielleicht war es für sie die erste oder die erste nennenswerte überhaupt. Sie hatten jedoch gar nicht vor, dies auszuschlachten, sie neckten mich nicht einmal. Ich hatte im Gegenteil das Gefühl, dass ich eine wichtige Prüfung bestanden hatte, vielleicht weil ich ein “guter Verlierer” war.
Es war nun genug gespielt, denn jedes weitere Spiel hätte die Stimmung des Augenblicks trüben können. Ich dachte, jetzt wäre genau die richtige Zeit, dass Vera uns zum Essen ruft. Als hätte sie meine Gedanken gelesen, tat sie dies auch.