Sie kennen den Typ. Pazifist, Artist, Nihilist, Anarchist, Kommunist, Satanist und Verbalterrorist in einem. Vielleicht auch Onanist, wer will das aber schon wissen.
Bereits nach kurzer Zeit im Betrieb wurde er bekannt wie ein bunter Hund, obwohl er schon damals so gut wie immer in schwarz herumlief. Die ausgefallenen Sachen, die er trägt, das viele metallbeschlagene Leder, seine auffälligen Ringe, seine langen Halsketten und insbesondere die Brille mit der runden, nach Ebenholz aussehenden Glaseinfassung und den gelbbraunen Hornbügeln, das alles läßt ihn eher als Paradiesvogel erscheinen, als wenn er einen Irokesenschnitt, grüngefärbte Haare und Lilaanzüge trüge.
Er ist groß, spindeldürr, schlaksig und kommt einem aus einem unbestimmbaren Grund nicht ganz fertig vor. Aus einem dunklen, mit breiten Backenknochen und schwerem Kinn ausgestatteten Gesicht, aus dem ein Zahnstocher und eine spitze Nase herausragen, gucken zwei ebenfalls dunkle Augen einen frech und nicht besonders intelligent an. Seine männlichen Kollegen mögen ihn überhaupt nicht. Die Frauen, die ihn näher kennen, mögen ihn auch nicht. Die Frauen, die ihn nur vom Sehen oder Hören kennen, und das sind die meisten, mögen ihn um so mehr. In seinem Betrieb reden wir von paar Tausend Frauen, sie werden ihn später in den Betriebsrat wählen.
Zu seiner allgemeinen Bekanntheit trug in seinen ersten Arbeitsjahren am meisten seine triebhafte Betätigung im Intranet bei. Er veröffentlichte ständig irgendwelche Kommentare zum Tagesgeschehen, Glossen, eigene Bilder und so Zeug, und befand sich fast immer mit jemandem im Streit, weil er so ziemlich über alle und alles lästerte. Sein direkter Chef hatte alle Hände voll zu tun, die vielen mehr oder weniger offiziellen Beschwerden abzuwiegeln. Seine politische Karriere fing an, als die Firma verkauft wurde. Die Unsicherheit über die Erhaltung der Arbeitsplätze entlud sich in allgemeine Hysterie, und der Revoluzzer entdeckte auf einmal seine messianische Ader. Von da an sprach er nur noch von Solidarität, wobei es nicht ganz klar war, wer mit wem solidarisch sein sollte, jedenfalls stellte er, wohl angesichts der allgemein drohenden Arbeitslosigkeit und als Zeichen seiner allgemeinen Solidarisierung (mit wem auch immer), seine Tätigkeit im Labor vorsorglich jetzt schon gänzlich ein. Seine direkten Kollegen fanden das wenig solidarisch und sein Chef gab ihm einen Schuß vor den Bug. Er renkte sich daraufhin ein wenig ein und verlagerte seine politischen Aktivitäten in die Pausen und in seine Freizeit. Er bastelte und klebte Plakate herum, antichambrierte beim Betriebsrat und bei verschiedenen Führungskräften, verfaßte Schmähschriften an die Adresse der lokalen Geschäftsleitung und büßte nach und nach seinen Sinn für Humor komplett ein.
Dann kam die schicksalhafte Betriebsversammlung, in der die Geschäftsführung zusammen mit dem Betriebsrat die Maßnahmen zum Personalabbau vorstellte. Die Halle war überfüllt, die Stimmung aufgeladen. Der Vorsitzende der Geschäftsführung, ein arroganter und ziemlich unangenehmer Bursche, der jedoch im eigenen Überlebenskampf gegen die Konzernleitung auch einiges für die Belegschaft herausgeholt hatte, verkündete, daß es keine betriebsbedingten Kündigungen geben werde, da die Reduzierung der Personaldecke durch die üblichen Methoden wie Vorruhestand, natürliche Fluktuation, Zahlung von Abfindungen, Versetzungen zu anderen Standorten usw. abgedeckt werden könnte. Blah, blah, blah.
In diesem Moment stand unser Held auf und – seine Worte am Zahnstocher vorbeipressend – bescheinigte dem Vorsitzenden wortwörtlich, daß er (der Vorsitzende) verdammt keinen Arsch in der Hose hätte. Dann sprach er den betroffenen Kollegen seine Solidarität aus und forderte zum Kampf auf. Der Vorsitzende nahm das nach außen gelassen hin und erklärte nach Beantwortung einiger Fragen seine Präsentation für beendet. Die Betriebsräte, die ihre Fälle wegschwimmen sahen, gaben sich in den anschließenden Erklärungen betont kämpferisch. Für die meisten unter Ihnen war die Sache mit der Wiederwahl nunmehr aber endgültig gelaufen.
Der Bereichsleiter und überüberüberübernächster Chef unseres Helden entriß ihm in den nächsten Stunden nach der Betriebsversammlung das Versprechen einer Entschuldigung und arrangierte ein Telefongespräch mit dem Vorsitzenden, das am gleichen Tag auch stattfand.
Ab jetzt fing unser Revoluzzer an, über die lokale Geschäftsführung ausschließlich in respektvollem Ton zu reden. Er verlagerte seine Angriffe in Richtung Konzernleitung und wurde kurze Zeit danach mit überwältigender Mehrheit in den Betriebsrat gewählt, wo er auch heute noch schwerpunktmäßig für den Datenschutz verantwortlich ist. An dieser Front kämpft er, beseelt von seinem heiligen Auftrag, gegen jegliche Liste, die irgendwelche persönlichen Daten beinhaltet, und sei es auch gegen das Firmentelefonverzeichnis, wenn es sich partout nichts besseres finden läßt. Seinem direkten Chef, der ihm früher nicht nur einmal aus der Patsche geholfen hatte, fällt er jetzt mit Lappalien dieser Art immer wieder nonchalant in den Rücken.
Die Akzeptanz seiner Person und seines Tuns bei den Kollegen im Betriebsrat ist mittlerweile bescheiden geworden, um das milde zu formulieren. Es wird gemunkelt, daß es drei halbtägige Sitzungen bedurft hat, um ihn vom Vorhaben der Anonymisierung der Gehaltsliste abzubringen.