Pünktlich vor der großen Besprechung veranstaltet das Wetter einen Temperatursturz von über 10 Grad. Die Klimaanlage kommt jetzt so richtig in Fahrt und bläst mir kalte Luft von oben direkt ins Genick. Ich friere und habe die böse Vorahnung eines Schnupfenanfalls mit Dauerniesen und was sonst noch dazugehört. Es graust mir davor, denn ich kann nicht raus. Weil doppelt so viele Amerikaner gekommen sind wie angekündigt, sitzen wir in zwei Reihen. Die Glücklicheren unter uns verfügen zwar über eine kleine Ecke vom Tisch, wo sie ihre Sachen ablegen können, sie können aber den Raum unmöglich zwischendurch verlassen. Ich übe mich in Geduld.
Auf dem langen Besprechungstisch befindet sich ein wildes Durcheinander von Laptops, Handhelds, Aktenordnern, Ladegeräten, Anschlußkabeln. Dazu noch jede Menge Getränke und Keksdosen. Zwei Beamer werfen ihre Bilder an Leinwände an den Stirnseiten des länglichen Raums, der dritte in der Mitte muß sich mit der Eingangstür als Projektionswand begnügen. Wir arbeiten online in drei Gruppen an unseren Dokumenten und müssen uns jedes mal durch das Kabelgewirr wühlen, wenn wir von einem Laptop auf einen anderen umschalten. Das nennt sich dann Planung. Wenn unsere Kunden nur wüßten, wie wir unsere Produkte entwickeln…
Ich fühle mich krank, gehetzt und fremd. Das Chaos um mich herum verursacht fast körperlichen Schmerz.
Dies ist wohl die neue Art der natürlichen Auslese, denke ich mir. Denn schließlich müssen wir die Belastungen und Gefahren, die es für uns in der Natur kaum noch gibt, durch etwas anderes ersetzen. Und die Extremsportarten stehen uns leider nur in der Freizeit zur Verfügung.
Nach dem obligatorischen Dinner falle ich ins Bett wie ein Stein.
In dieser Nacht träume ich, ich würde mich um einen Job in einem großen Konzern bewerben. Meine Bewerbung muß ich in einem riesigen Konferenzraum vor Ort live erstellen und präsentieren. Ich tippe mit zittrigen Fingern Anschreiben und Lebenslauf in den Laptop ein, während das alles an die Wand projiziert wird. Die Mitglieder der Bewerbungskommission tuscheln ständig. Sie korrigieren ebenfalls online meine Fehler und fügen farbige Kommentarfelder ein, die ich zwar sehen, jedoch aus Zeitmangel nicht lesen kann. Bei jedem Kommentar ertönt ein helles und lautes “Ping”, das meine ohnehin schlechte Konzentration noch mehr schwächt.
Zum Schluß werde ich aufgefordert, ein aktuelles Paßbild von mir zu präsentieren. Ich öffne die entsprechende Datei und schaue auf die Leinwand. Darauf sehe ich eine mir völlig unbekannte weibliche Person mit Brille, die mit müden Augen in die Kamera blickt.