Bella Italia

Ende September 1991 in Rom. Ich nahm an der Konferenz “Euro-Dingenskirchens” teil zusammen mit drei Arbeitskollegen.
Wir waren im Hotel “Cavalieri Hilton” abgestiegen, irgendwo hoch auf einem Berg, da sonst überhaupt nichts zu kriegen war. Der einzige Nachteil dieses Hotels ist, dass man ein Taxi braucht, um in die Innenstadt zu gelangen. Sind Sie mal in Italien Taxi gefahren? Dann wissen Sie, wovon ich spreche. Das erste Taxifahrzeug war ein kompakter Alfa 1600, wo wir auf der Rückbank einige Mühe zu dritt hatten, obwohl wir damals alle schlanke Raucher waren. Aber nachdem er vergeblich auf ein Trinkgeld gewartet hatte, schmiss der Hotelportier beherzt die Hintertür zu, so dass wir zum Schluss doch gänzlich drinnen waren. Das Taxi fuhr an mit einer blauen Wolke von verbranntem Reifengummi, beschleunigte bis auf achtzig und machte kurz vor der Ausfahrt vom Hotelgelände eine Vollbremsung. Wiederum eine blaue Rauchwolke hinter uns lassend, bogen wir in die Hauptstrasse ein. Sie schlängelte sich in etlichen Serpentinen den steilen Berghang hinunter. Wir konnten jetzt langsam die Geräusche deuten, die wir im Hotel die ganze Nacht über gehört hatten: quietschende Reifen. Die von unserem Taxi taten dies auch, und wie!
Wortlos blickten wir uns gegenseitig an. Genauso wortlos blickten wir auch besorgt zu der Steinmauer entlang der Strasse, die voller Kratzer, Furchen und Lackspuren in allen Regenbogenfarben war. Dies waren die Stellen, wo man sich in der Kurve um eine Kleinigkeit verschätzt hatte. Kein Wunder, bei dem Tempo…
“Für wen hält er sich eigentlich? Nannini oder Zanardi?” fragte halblaut Alfred zu meiner Rechten. Offenbar hatte er Angst, er könnte den Fahrer noch mehr reizen.
Daraufhin drehte sich dieser um, schenkte uns sein bezauberndes italienisches Lächeln und sagte: “Mi piace Zanardi di piu” und dann noch einen Satz, den ich nicht mehr verstand, wohl aber die genaue Begründung für seine Präferenz.
Ich überlegte langsam, ob ich das Lenken übernehmen sollte, als er sich aber gerade noch rechtzeitig nach vorne drehte und gekonnt weiterfuhr. Dann waren wir schon in der Innenstadt. Unser Fahrer wechselte ständig die Spur, drängelte und mogelte sich in einem irrsinnigen Tempo irgendwie durch. Dies alles tat er jedoch augenscheinlich lässig und locker, ohne sichtbaren Anzeichen von Aggressivität. Kurz vor einer Ampel bremste er abrupt, jagte mit siebzig Sachen über den Bürgersteig und über einen Parkplatz, kam mit einem Poltern und quietschenden Reifen um die Kurve in die Querstrasse rein und hielt gleich an. Wir atmeten aus. Wir waren angekommen. Und hatten noch eine Ampel eingespart.
Wir blieben volle vier Tage in Rom. Wir fuhren jeden Tag zweimal Taxi, wobei jede Fahrt irgendwie der ersten ähnelte. Wir besuchten die Kongressstätte einmal am Tag für eine halbe Stunde, um zu Mittag zu essen. Wir lernten, dass es hier eine völlig andere Bedeutung als in Deutschland hat, wenn ein Fussgänger auf dem Zebrastreifen einem Autofahrer in die Augen blickt. (Der italieneische Autofahrer lächelt charmant zurück… und fährt weiter.) Wir liefen uns während der vier Tage die Füsse wund, und versuchten, so viel wie möglich zu sehen. Und jeden Abend, nach einem guten Essen und einer aufregenden Taxifahrt, konnten wir in der Hotelanlage im freien schwimmen. Und die Luft duftete nach Zypressen…
Das war eine Dienstreise, einfach traumhaft!
Dann war es vorbei.
Auf dem Weg zum Flughafen sassen wir wie am ersten Tag wieder in der hoteleigenen Limousine, einem grossen Lancia mit wohlriechender Lederpolsterung. Der Fahrer, ein hochaufgeschossener spindeldürrer Blonder mit Schnurrbart, fuhr uns ganz gemächlich hin, ohne ein Wort und ohne einen Ruck. Wir glitten einfach majestätisch dahin, der Motor surrte nur leise. Wir hätten sogar aus richtigen Gläsern Champagner trinken können, falls wir das Nötige dazu dabei gehabt hätten.
Die Enttäuschung über das untypische Verhalten dieses Fahrers steckt mir heute noch in den Knochen, auch wenn wir versucht haben, dafür eine Entschuldigung zu finden. Wir waren nämlich alle vier der Meinung, dass er kein Italiener sein kann, auf gar keinen Fall. Bei seinem Temperament und seinem Aussehen tippten wir auf einen Engländer oder Holländer, weil Deutsche und Dänen viel aggressiver fahren. Damit uns möglicherweise eine weitere Enttäuschung erspart blieb, vermieden wir jedoch, ihn danach zu fragen. Ich jedenfalls bin etwas vorsichtiger mit solchen Einschätzungen geworden, seit ich die erste blonde Griechin gesehen habe.