Milosevic wurde nun an Den Haag ausgeliefert. Ein Triumph der Demokratie über die Diktatur, könnte man sagen. Ja, das auch. Weil es jedoch genug Lobeshymnen dazu geben wird, will ich mich mal mit der Kehrseite der Medaille befassen.
Die Sache hinterlässt aus mehreren Gründen einen bitteren Nachgeschmack. Die Aktion wurde als Handstreich unter zweifelhaften rechtlichen Umständen durchgeführt. Wenn man die dezenten Andeutungen der Amerikaner aus dem Vorfeld betrachtet (“Wenn Ihr den Milosevic nicht gefälligst ausliefert, kriegt Ihr kein Geld von uns!”), habe ich den Verdacht, dass finanzielle Überlegungen der Belgrader Regierung die Hauptrolle gespielt haben… (Apropos Amerikaner: deren Rachegelüste sind kaum zu bändigen, wenn es um ausländische Kriegsverbrecher geht, die eigenen werden jedoch mit Samthandschuhen angefasst.)
Genauso bedenklich fand ich 1989 die eilige Hinrichtung des Ehepaares Ceausescu nach einem äusserst rudimentären Prozess. Volkszorn kann hier als Begründung nicht geltend gemacht werden, weil das Volk überhaupt nicht involviert war. Das Volk hatte den Diktator bloss gestürzt. Und ausserdem bedeutet Volkszorn Pogromstimmung und Zerstörung: jede Macht, die dem nachgibt, macht sich m.E. eines Kapitalverbrechens schuldig.
Als Eichmann in Südamerika entführt wurde, um in Israel vor Gericht gestellt zu werden, wurden mindestens ein halbes Dutzend nationale und internationale Gesetze gebrochen. Dass der Verbrecher Eichmann büsst, hätte allein unserem Gerechtigkeitsgefühl dienen sollen, und nicht unserem Streben nach Rache. Mein Gerechtigkeitsempfinden in dieser Situation ist durchaus zwiespältig.
Auch Kriminelle dürfen nur mit ausschliesslich nichtkriminellen Mitteln bekämpft werden. Alles andere ist Selbstbetrug.
Ich hoffe, dass die Geschichte diese Umstände mit berücksichtigen wird. Ich hoffe ferner, dass wir irgendwann lernen werden, aus der Geschichte zu lernen.