Spuren

Ein deutscher Munitionszug wurde in G. kurz vor der Einfahrt in den Bahnhof in die Luft gejagt. Die Alliierten hatten bereits die Lufthoheit und konnten sich die Ziele nach Belieben aussuchen.
Der Bahnhof wurde zwar verschont, vom Zug ist jedoch nicht viel übrig geblieben. Waggonteile und Ladung wurden Hunderte von Metern auf das umliegende Ackerland und in die Stadt geschleudert.
Die Folge war, dass noch über 10 Jahre nach Kriegsende, überall reichlich explosives zu finden war. Maschinengewehrsmunition gab es praktisch überall. Damals wurde in den Strassen an der Kanalisation und an Gasleitungen gearbeitet. Jeder Arbeiter, der mit dem Erdaushub beschäftigt war, sammelte am Tage an die 50 verklumpte Patronen, die Abends von der Polizei abgeholt wurden. Wusch man die Erde davon ab (was ich natürlich nicht nur einmal gemacht habe), konnte man den matten, grau-grünen Schimmer der völlig intakten Hülsen und Kugeln sehen. Dazu waren aber auch grössere Sachen zu sehen. Offensive und defensive Handgranaten und auch grössere Granaten waren nicht selten. Es ist ein Wunder, dass nicht mehr Unfälle passiert sind.
In jedem Frühling gingen wir auf die frisch bestellten Felder, um schwarze “Knöpfe” und “Macaroni” aus Schiesspulver zu sammeln. Ich weiss bis heute nicht genau, aus welcher Art von Munition das Zeug stammte. Ich vermute, es waren Patronen für grössere Kanonen, die durch die Explosion zerfetzt worden waren und ihren Inhalt preisgegeben haben. Das Zeug brannte prächtig mit violetter Flamme und beeindruckendes Geräusch und hinterliess so gut wie keine Asche.
Am schönsten war aber das Schiesspulver aus kleineren Patronen, glänzend schwarze millimetergrosse Granulen.
Dies schien für unsere Zwecke (ich und zwei meiner damaligen Freunde wollten eine Feststoffrakete bauen) auch am besten geeignet, weil es sich gut verdichten liess. Daher hatten wir uns die Technik des Kugelausbaus, die wir vom Hörensagen kannten, sehr schnell angeeignet.
Dies ging folgendermassen: mit der Hand (oder für Übervorsichtige mit einer Zange) wurde die Patrone in der Mitte angefasst und waagerecht gehalten, die Kugel zeigte nach rechts. Die Kugelfassung wurde auf ein Amboss gelegt und mit einem Hammer traktiert, indem man die Patrone um die Längsachse drehte, bis die Kugel sich mit der Hand herausnehmen liess. Das Schiesspulver liess sich nun einfach auskippen.
Die Feststoffrakete haben wir nie gebaut. Einer von den Freunden wurde in der Schule mit “Belastungsmaterial” erwischt und hat uns alle verpfiffen. Die Schuldirektorin bestellte mich in ihr Kabinett und bearbeitete mich, bis ich versprach, die Finger von dem Zeug zu lassen. Sie drohte mir mit einer schlechten Note im Benehmen, mit der Polizei und mit der Ankündigung, sie würde meinen Eltern alles erzählen, wenn ich nicht damit aufhöre. Das Letzte hat gewirkt. Ich wurde nicht rückfällig.