Ich habe einmal aus sicherem Versteck zugeschaut, wie Schäferhündin Bonny ihre Beute vergrub. Sie nahm ein Stück Hundekuchen ins Maul und schaute sich erst einmal verstohlen um. (Sie weiß ganz genau, daß sie’s nicht machen darf.) Dann trabte sie gemächlich zu einer Stelle am Zaun, wo Vera vor kurzem einen Weinstock ausgegraben hatte. Sie legte den Kuchen ab und hob mit den Vorderpfoten schnell ein ziemlich großes Loch in der lockeren Erde aus. Dann legte sie vorsichtig den Kuchen ins Loch und fing an, die krümelige Erde ganz methodisch mit der Schnauze zurückzuschieben. Sie hielt ein paarmal inne, um die Stelle geräuschvoll zu beschnüffeln, machte aber jedesmal weiter, bis das Loch ganz zu war. Jetzt legte sie sich bäuchlings daneben hin, und starrte das Häuflein Erde nachdenklich aus zwanzig Zentimeter Entfernung an.
Ich wollte gerade in Erscheinung treten und anfangen zu schelten, da grub sie schnell die Beute wieder aus. Sie trabte zu einer anderen Stelle hin, wo wir angefangen hatten, einen Kräutergarten anzulegen.
“Das ist doch bescheuert, was Du da machst” rief ich und schritt selbst in den Garten. “Wenn Du schon Deine Beute vergraben willst, dann mach das ohne daß der ganze Garten neu planiert werden muß. Was soll der Quatsch? Warum gräbst Du den Kuchen wieder aus?”
Sie legte den Kuchen ab, blieb darüber gebeugt und schaute nach oben. Dabei kräuselte sie leicht verlegen die Schnauze, deren Spitze mit Erde beschmiert war, und legte die Ohren an.
“Das ist ein Tick von mir. Ich frage mich immer wieder, ob die Dinge, die ich nicht riechen oder sehen kann, tatsächlich existieren. So ist es auch mit der Beute: ist sie noch existent, wenn ich sie nicht wahrnehmen kann? Jedesmal, wenn ich die Beute sofort wieder ausgrabe, ist sie da, das gebe ich zu. Das ist aber noch lange kein Beweis dafür, daß es immer so ist.” Ihre Verlegenheit wich nun langsam. “Vielleicht habe ich zu viele Philosophiebücher gelesen. Du kennst doch die Zentralfrage der Erkenntnistheorie, ob die Realität auch unabhängig von unseren Sinnen existiert oder nicht.”
„Sieh an, ein gebildeter Hund. Dann hast Du wohl auch eine fundierte Meinung über die Big-bang Hypothese.“
Sie blickte mir fest in die Augen, als würde meine Ironie sie kränken.
“Diese Theorie ist anmaßend, sie wirkt auf mich wegen ihrer Unbescheidenheit abstoßend. Darüber hinaus bezichtige ich ihre Väter der Ruhmsucht und Unehrlichkeit. Ich bete zu Gott, daß sich das Ganze bald als falsch herausstellt.”
“Jaja” sagte ich. “Anstatt Dich mit Sachen zu beschäftigen, die Du nicht kapieren kannst, solltest Du eher bedenken, daß Hundekuchen überhaupt nicht dafür geeignet sind, vergraben zu werden. Hast Du nicht erst gestern das total durchweichte Ding über die ganze Treppe verteilt?”
Sehen Sie, das unterscheidet uns Menschen grundsätzlich von den Hunden und von anderen Tieren. Im Gegensatz zu uns können andere Lebewesen auch dann nicht vernünftig handeln, wenn sie über die entsprechenden intellektuellen Fähigkeiten verfügen.
“Führst Du neuerdings Selbstgespräche?” fragte mich Vera als ich mit Bonny an meiner Seite ins Wohnzimmer kam. “Oder hast Du mit Herrn Meyer geredet?” Das ist unser Nachbar, mit dem ich mich manchmal über den Zaun unterhalte.
“Der ist um diese Zeit doch gar nicht da. Ich rede eigentlich mit dem Hund” sagte ich wahrheitsgemäß. “Aber weil er nicht sprechen kann, muß ich mir die Antworten halt selbst geben.”